traian pop traian
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Kulturpolitische Korrespondenz -Bonn nr.1127, 28.ferbruar 2001, Seite 14; Georg Aescht - "Literatur und Kunst"
Archenoah -München
nr. 1 Januar 2000 Seiten 111-114; Georg Scherg - "VOM UNERTRÄGLICHEN UND SEINER ZEIT
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Georg Aescht - "Literatur und Kunst"
Dass Poesie eine internationale Sprache spricht, zeigen Texte eines rumänischen Dichters, in denen rumänische und rumänendeutsche Dichter vorkommen und die von einem solchen ins Deutsche übersetzt worden sind. Im übrigen lebt der rumänische Dichter in Ludwigsburg, ohne sein Rumänien beheimatetes Lebensgefühl verloren zu haben, was seine Gedichte – auch auf deutsch – eindrucksvoll vermitteln.
Nr. 1127 vom 28, Februar 2001 / S.14
***
„Alles hat seine Zeit“, sagt der Prediger Salomo. Wenn aber der Tag der Nacht gleichgesetzt ist, wie es die Klausenburger Studenten der Nachkriegszeit aus dem Kreis um ihre Zeitschrift „Echinox“ (= Äquinoktium) taten, herrscht bestenfalls Zwielicht. Ob nun, wenn schon beschworene Dämmerung herrscht, Abend oder Morgen erwartet wird, Eiszeit oder Tauwetter, ist dies aufs Ganze gesehen den zahlreichen Debüts dieser Nachkriegsjugend bis zum Ende des Saeculums oft nicht abzulesen. Auch wenn sie sich vermeintlich „progressistisch“ gibt. In Wirklichkeit ist sie ungebärdig. Traian Pop aus dem Kreis Temeswar aber gilt ohne Vorbehalt als „Rebell“ der achtziger Jahre, als Zorniger, wenn nicht als Rädelsführer unter den rumänischen Poeten im zunehmenden Widerstand gegen die Diktatur.
Für den Landeskundigen ist es schon fast ein Gemeinplatz, dies noch zu erwähnen. Diesen Widerstand geleistet zu haben, gilt auch nicht als Verdienst. Äußerstenfalls legitimiert er den Autor als integren Charakter, welche Schwächen er sonst auch haben mag. Mit anderen Worten: Bei einer Prüfung seines bisherigen Werkes als Leistung geht es nicht so sehr um das Was wie um das (poetologische) Wie, um die Unverwechselbarkeit dieser Stimme. Denn selbst wenn auf Befehl von oben manche Wörter aus dem Sprachschatz gestrichen waren, durfte nach demselben Befehl in den Jahren der Unterdrückung, der Gängelung oder wie man die Bevormundung heute auch nennen mag, alles gesagt werden: Gerade damit brüstete sich die Zensur (die es angeblich gar nicht geben sollte).
Aber
es kam auf das Wie an. Darüber war man als schöpferischer Mensch verständigt,
ohne davon sprechen zu müssen. Ein Augenzwinkern genügte, und nur Schwätzer
verloren darüber noch Worte... wenn sie nicht gar Zuträger waren und den
„Behörden“ gegenüber den Mund aufrissen. Freilich nicht nur, um sich
wichtig zu machen.
Jeder
Umgang mit Menschen besteht auf etwas wie einem Gesellschaftsvertrag. Und der
wiederum auf einem ungeschriebenen beiderseitigen Einverständnis. Auch alle
Kunst gründet sich auf etwas wie eine solche Übereinkunft. Wer als
Schreibender zur Feder greift, geht seinen Lesern gegenüber stillschweigend
davon aus und hofft auf das wechselseitige Einverständnis – auch seiner
Rezensenten. Selbst ein Verriß stützt sich darauf, wenn auch nur ex negativo.
Denn von der – sagen wir: landläufigen, wenn nicht gar objektiven Erwartung
dessen, was ein (Sprach-) Kunstwerk sein soll, kann die Vorstellung des
einzelnen aus vielen Gründen abweichen. Solche Gründe liegen dann freilich
meist im Bereich des Subjektiven – unerheblich, ob sie dann Vernunft,
Geschmack, Unvertrautheit, mehr-weniger boshafte Mißgunst, ja vielleicht
denunziatorische Rachsucht heißen und mit opportunisch-tendenziösen
Unterstellungen arbeiten.Dieser Gefahr ist in einer Diktatur jeder ausgesetzt.
Auch wenn er nur unter vier Augen und hinter vorgehaltener Hand einen Witz erzählt.
Um wie viel mehr also ein geschriebenes Werk. Und wie nun schreiben davon,
„wes das Herz voll ist“: von jederlei Bedrängnis, angesichts von Argwohn
und Gefährdung durch jedes Wort, wenn es mangels gutgesinnter Übereinkunft so
und so oder so verstanden werden kann... unterm Anschein von Loyalität gar
verstanden werden soll!? Wie schreiben, wenn einer Dichter ist und sich
im Wort mitteilt, das nicht mit Vernunft allein erschöpft und irgendwelchen
rationalen Zwecken dienstbar gemacht werden soll? Denn seit es Dichter gibt,
sind sie sich im tiefsten doch darin einig: „Gesang vor Rede, / Dichtung vor
Prosa, / Flöte vor Pfeife, / Leier vor Bogen“ (William Golding).Mit dem Recht
der Jugend, meinte man nicht nur zu wissen, nein, wusste sehr genau, was
Dichtung, was insbesondere ein Gedicht ist. Mit demselben Recht hatte man auch
alles Alte über Bord geworfen. Das heißt, alles, was einengte, war alt. Die
Staatsgewalt vielleicht ausgenommen. Denn so genau unterschied man wiederum
nicht zwischen Inhalt, Absicht und Form, wenn – ja, wenn! – man durfte. Und
das hatte ja auch seine Folgen: Man spaltete sich selbst, in Vorbeter und
Nachbeter. Oder, um es mit Goethe zu sagen: „Die Kunst gibt sich selber die
Gesetze und gebietet der Zeit. Der Dilettantismus folgt der Neigung der Zeit.“
Mit heutigen Worten für die Heutigen formuliert: „ ...Das Wort ist Samen.
Frucht. Und Blüte... Die Grenze der Beschreibung. Ich proklamiere. Das Reich
der Metapher. Allein die Poesie ermöglicht noch Kommunikation... „ (Carmen
Francesca Banciu, „Ein Land voller Helden“, 135).
Pech
hatte, wer auf Grund manipulierter Interpretation beim sauren Bier ertappt
wurde. Wer jedoch ungeschoren blieb, übte nicht gleich den Aufstand, hielt sich
bedeckt, sowohl gegen Schwächere als auch gegen ohnehin Verdächtige. Weil man
sich selbst aber auch verdächtig war, überspielte man das mit mehr oder
weniger Frechheit der Aussage in Form oder Formlosigkeit. Davon gabs ja von
allen Seiten genug, genug auch davon zu sagen nach vorbehaltlosem Zuspruch von
seinesgleichen, der schon als Solidarität selbst über die Stränge haut. Was
Form, was (Vers-) Maß, was Zurückhaltung, ja Haltung! Solches Vielerlei allein
war schon Fessel – und die sollte man sich selbst anlegen? Fessel schon vom
Material tradierter Poetik her – aber noch vieles, vieles mehr, kurzum
schlechthin alles. Weil man alles wusste, abgeguckt hatte und zu sagen verstand,
so zwar, daß seinesgleichen es auf Anhieb erfaßte, auch wenn es noch so
kryptisch war. Das verband, verbrüderte auf der Wellenlänge gleicher Emotion,
mehr noch als allein durch die Ratio.
Aber
wehe, wenn beide sich verbündeten oder anfeindeten. Und wenn es verbündete,
war man allein schon damit im Recht. Altüberlieferte Form, auch wenn sie noch
so bewährt war? Wenn das Herz
voll war und zornig – weil es sich hatte spalten müssen? Oder umgekehrt: Wenn
es sich spalten mußte, weil es voll Zorn war (und in Gefahr, sich zu verraten)?
Aber wohlgemerkt: Revoluzzer waren sie nicht. Dazu gab es zu viele gebrannte Kinder – zu denen sie noch kaum gehörten. Sie waren bloß gewarnt. Kurz: Die Unerträglichkeit der Bevormundung ertragen zu müssen, der Verdächtigung, Verfolgung, Unterdrückung, Gefangenschaft, Kerker jeder Art, Hunger und Durst, Zwangsaufhalt, Berufsverbot – das waren Leiden einer Jugend, die sich unterwarf, ohne sich zu unterwerfen... Verstehe das, wer kann.
Unterm
Anschein der Gefügigkeit fand sie zum Ausgleich in einer so langwierigen wie
ambivalenten Dämmerung, die, als Zustand nicht von ungefähr oft beim Namen
genannt, dem Götzen den Untergang, dem ausharrenden Geist aber Befreiung
bringen und zu seinem unverfälschten Ausdruck verhelfen sollte. Unter dem
Gewicht des Überdrucks schmolzen freilich die festen Formen dahin. Dämmerung
verwischt alle Maße und Grenzen. Schon um die Zeit des ersten Weltkrieges wußte
einer aus der Generation der Expressionisten zu sagen: „... allem
Elementarwesen liegt die sehnsüchtige Todesfurcht vor Maß und Ordnung
zugrunde, wie sie auch der Wohllaut verkörpert“ (Franz Werfel). Auch wenn man
sich des Vorteils begibt, der im unbegrenzten Reichtum der Formen liegt: Man übersieht,
daß eben die Form – wenn schon durchbrochen – so doch unendlich
modellierbar, variierbar (musikalisch gesprochen „figurierbar“) ist und
unerschöpflich neue Ausdrucksmöglichkeiten bietet. Dadurch wächst die Gefahr,
daß die Aussage oder Botschaft einer Eintönigkeit erliegt, die besonders bei längeren
Expektorationen an Integrität, an Intensität, an Sprengkraft verliert.
Mag
dann die Textualität dank (scheinbar) noch soviel Unordnung oder Gedankensprüngen
– die nicht ganz leicht nachzuvollziehen sind, dank (scheinbar) noch so willkürlich
abgebrochener Zeilen (Versen?) und des stilistischen Enjambements (das aber
nicht metrisch ist!) –, mag diese Textualität also noch so vieldeutige, meist
satirische Aussagen enthalten, auch wenn sie vielleicht dank graphischer
Anordnung mehr auf optische als auf auditive Wirkung aus ist! Ob eine an sich
schon provokatorische Absicht das in einem Sprachkunstwerk nötig hat, mag
dahingestellt bleiben. Es ist ohnehin genug Bemerkenswertes da, ob aphoristisch,
ob metaphorisch, lyrisch oder meditativ. Vieles klingt rein diskursiv polemisch,
und zwar so sehr, daß es wie Prosa wirkt. Aber auch wie Dichtung? Denn ein Vers
ist aller Freiheit zum Trotz ein metrisches Gebilde. Was zwingt uns, Verse zu hören,
während das Auge durch versähnliche Zeilenordnung getäuscht wird und die
Substanz alles andere ist als das, was die Poetik „freie Rhythmen“ nennt,
weil das Maß immer noch durchschimmern muß. Denn: Diese Generation meint, den
poetischen Rhythmus entbehren zu dürfen (zu können?), der ohnehin längst
„ausgewandert“ ist. Und zwar in ein Bereich, das ihn allein in Beschlag
genommen und sozusagen verabsolutiert hat, auch auf Kosten wirklicher Musik: der
Tyrannei des Schlagzeugs, ihn also den genießerischen Sinnen, statt dem schöpferischen
Geist untertan macht. (Um nicht vom dionysischer und apollinischer Kunst zu
sprechen.)
Ist
aber musikalischer Rhythmus gleich dem poetischen? Dieser vielleicht auch
„Wohlklang“ = Euphonie zu nennende Rhythmus ergeht sich auf diesen Blättern
auf der Ebene einer Imago, die ein Hörbild genannt werden dürfte. Es ist nicht
zu leugnen, daß aufs Ganze gesehen in der ab und zu hymnisch anmutenden Diktion
die Bitterkeit von Jeremia ihren Ausdruck sucht, der nach
biblisch-alttestamentarischer Gepflogenheit Vers genannt wird – obgleich in
dieser Sprache von keinem Metrum die Rede sein kann, wohl aber von lyrischer
Prosa. Freilich unterscheidet sie sich durch ein wesentliches Element etwa von
den Sprüchen Salomonis u.a. Das ist die Ironie, die auch sich selbst und das
eigene Ich nicht verschont.
Im
allgemeinen gewinnen wir den Eindruck von rezitativischer Sprache: eines
Parlando, das auch von weitem an kein Metrum gemahnt, ganz gleich welchen Inhalt
sie mitteilt:
„...also
beginne ich denn zugleich zu leugnen
und
einzuräumen
was
manche nicht gesagt
was
manche nicht getan
die
Regeln
die
Abweichungen von der Regel
werden
sich mir gefügig und verschwiegen erweisen
ich
werde nur zu wählen haben... „
(Liebesnacht)
Dies
ist der springende Punkt und hier wird er beim Namen gennannt:
„zugleich zu leugnen und einzuräumen“, sich
„gefügig
und verschwiegen“ zwischen Regeln und Abweichungen ergehen – also zwischen Gebot
und
Verbot. Das heißt: Alles
zu sagen auch das Unerträgliche, das von
Machthabern Verbotene, es aber so zu sagen, daß es ist, als ob nichts („Böses“)
und doch mehr, als was da geschrieben steht, gesagt wird – nämlich die
verbotene Wahrheit.
Soweit und soviel, was die Botschaft betrifft. Freilich ist diese Botschaft durch die Form, in der sie übermittelt wird, verfremdet. Man könnte sagen: Der Leser werde dank der formalen Schlitzohrigkeit der Aussage hinters Licht geführt. Und doch ist gerade diese Form längst legitim und dem verständigen Kenner vertraut.
Zweihundert
Jahre nach Jean Paul – Friedrich Richter, dem deutschem Dichter zwischen
Empfindsamkeit und Romantik, fuhlen wir uns an den von ihm gepflegten
„Streckvers“ = Polymeter erinnert: Sein „elastischer Poet“ Walt, eine
der Hauptgestalten des Romans „Flegeljahre“ (1804) erfindet die und gefällt
sich in dieser Form stark rhythmisierter Prosa, der aber ein eigentlicher
Verscharakter, das gleichbleibende Metrum fehlt. Unsere schnellebige Zeit
bedient sich noch „expressiverer“ stilistischer Mittel. Dazu gehören Aufzählungen
im Telegrammstil, elliptische Sätze ohne Prädikat, drei- bis vierfach überdehnte
Zeilen (die der „Streckvers“ auch schon vorwegnimmt),
Interpunktionslosigkeit,
Definitionen, Metaphern der Materialität statt Musikalität, Neologismen und
anderes:
„...Bedeutungen
haben längst keine Deckung
außer
dem Wunsch vielleicht
dem
widerspenstigen
sie
aufzuzählen...“
„(...
Koeffizienten von Solidarität
mit
der Arbeit der Sternputzer – der Anblick
etwa
einer Abenddämmerung -
das
ist ein Schwert mit zwei Schneiden
die
auf Drängen des einsamen Schwimmers
geschliffen
wurden)
die
Bestandsaufnahme
der
Phrasen ist dieselbe nur
der
zerbrochene Buchstabe blinkt
über
der staunenden Regenbogenhaut des Wortes
(Sein
oder Nichtsein auf dem Gipfel
dieser
Vergeblichkeit vergleichbar dem Ozean
der
erschauert wenn du beim Durchwühlen
seiner
Eingeweide um Hilfe schreist
ob
du auch weißt dass keiner dich hört)
(Abgang
von der Bühne)
Ähnlich die Conclusio oder das Fazit nach einer Folge von an sich unsentimentalen Betrachtungen über das eigene Verhalten unter bestimmten Umständen:
„...
heißt dies
dass
er eines richtigen Gefühls nicht fähig ist – gerade er
der
noch hofft
in
einen einzigen Vers seine ganze Liebe zu fassen“
(Wenn)
Da
fällt das Stichwort „Gefühl“ – und es scheint hier als positive
Eigenschaft gewertet, auch wenn es dem Subjekt angeblich abgeht. Darüber hinaus
gibt es also den Wunsch (die Absicht?), einen gültigen Vers fertigzubringen –
das heißt, nach allen Regeln der Kunst. (Aber welche sind gemeint – wenn
nicht die Abweichung die Regel ist – siehe oben?) Und schon Rilke sagte vor
mehr als zwei Menschenaltern: „ ...Ach, aber mit Versen ist so wenig getan,
wenn man sie früh schreibt... Denn Verse sind nicht, wie die Leute meinen, Gefühle
(die hat man früh genug), - es sind Erfahrungen...“ (Malte).
Freilich,
Erfahrungen hat diese Generation genug. Leider meist einseitige, das haben sie
Zeitläufe mit sich gebracht, das Exil eingeschlossen und die Intoleranz hier
wie dort: Denn es gab ja nicht nur das antifaschistische Exil, es gab auch den
eisernen Vorhang und es gibt den Fanatismus jeglicher Fundamentalismen und
Couleur. Obwohl nur wenige wissen oder wissen wollen, was hinter solchen
Schranken vorging und vorgeht. Über solche Erfahrungen kann keiner mitreden,
der sie nicht gemacht hat, aber meint, sie mißachten oder kleinreden zu dürfen.
Denn solche Mißachtung ist selbst wieder Provokation und darf nicht Anlaß zu
Ärgernis finden, wenn die poetische Reaktion ihrerseits brüskiert, weil der
Sprecher verletzt ist.
So fühlt sich diese Dichtung in Gefahr, zur polemischen Oratorik zu verflachen oder auch zu „nostalgieren“. Dagegen hilft dann das ironisch-jokose, ans Absurde grenzende Ingrediens wie, unter anderen, in der Satire „Ragout in der Steppe“. Man möge dem Nachdichter hier die Absicht verzeihend zugutehalten, daß er diesen im Original zum Hexameter gravitierenden Versen mit dem Metrum ein Gran Ironie zugesetzt hat, um dem (landfremden) Leser durch den Gegensatz zwischen fester Form und Burleske in der Persiflage des gesetzlosen Geschehens die Absurdität auch der Lage zu suggerieren. Diese Lage zwang die Entrechteten in der Deportation zur Selbstbewährung, auch wenn einer sich gegebenenfalls mit dem Teufel verbrüdern mußte. Es ist bei genauem Hinsehen eine Parodie auf das biblische „Hier laßt uns Hütten baun“ (Matthäus 14,4).
So ist etwa Europa – spätestens seit dem Kosowo-Krieg – um ein Rätsel
reicher. Dies Rätsel lautet: Was geschieht auf dem Balkan? Oder genauer: Was
ist der Balkan? Wer es nicht versteht, die Zeichen zu deuten, wird dies Rätsel
nie lösen. Das heißt, ein Landfremder darf nicht seine Maße anlegen. Das heißt:
Schon in der Wirklichkeit sind die Zeichen anders zu setzen als in der
Vorstellung. Um der Eindeutigkeit willen gebraucht die Schrift – wenn es
darauf ankommt – Satzzeichen. Wenn aber solche Satzzeichen fast durchwegs
fehlen? Heißt das dann nicht, daß ein Text zwar so oder so, aber auch
so und so gelesen werden kann (soll) – daß (weil) nichts nur das ist,
wofür es sich gibt. Was etwa sind Schweine, die „der Zucht am Rande amtlicher
Aufsicht enstammen“? Was sind Händler mit „mehr oder weniger ersichtlicher
Herkunft“? Wo sind sie versammelt? Steht nicht auch ein Statist oder ein
Requisit für etwas anderes? Kurz gesagt (und nicht nur im Bilde): Es war „wie
im Krieg, es blühte ein echt paralleler Handel, versicherten glaubhaft die
Alten. Wer hätt widersprochen?“ Wer ist Käufer, wer Verkäufer, was echtes
Geld? Wer läßt schlachten, wer ist Schlächter, wer die Staatsgewalt? Wer ist
der Verschleppte, wer sind Treiber, wer Vertriebene, wenn alles austauschbar ist
wie Täter und Opfer und das Mißtrauen umgeht? (Ragout in der Steppe).
So widerspricht simple kausale Logik unter diesen Umständen der nackten
Wirklichkeit und umgekehrt. Dass die Kunst sich das zunutze macht, ist nicht nur
ihr gutes Recht, selbst wenn es ihr nicht darum geht – um mit Paul Klee zu
sprechen –, Sichtbares darzustellen, sondern Unsichtbares sichtbar zu machen.
Es ist vielmehr unumgänglich,, die „mutatio rerum“ beim Wort zu nehmen, die
Unordnung der Welt nach Gesetzen einer höheren Ordnung quasi dingfest zu machen
und Ereignis werden zu lassen. Dahin geht die Bemühung von Traian Pop Traian
und das ist seine erstaunliche dichterische Leistung. Nur muß der Leser ihm die
Bereitschaft entgegenbringen und diesen Weg mit ihm zurücklegen. Er muß die
gewohnten Vorstellungen, seine Erwartungen – sich selbst – ändern,
einsehen, dass die Welt sich bis zur Unkenntlichkeit geändert hat, die Welt –
oder was? Daß seine vermeintlich unantastbaren Begriffe von Regeln und Kunst
falsch sind wie die von Wirklichkeit und Wahrheit. Denn, um mit Brecht zu reden:
„die Verhältnisse, die sind nicht so“. Und die Verhältnisse, in denen
nichts mehr zu einander, weder zu sich selbst noch zum Gegenteil stimmt, sind
das A und O jeglicher Einsicht und wahrhaftigen Aussage: erst recht, wenn sie
poetisch ist und nicht ein X für ein U ausgibt. Da ist dann eine Katze etwa
keine Katze, so wenig wie der Mond noch Mond, und es treten Beziehungen zwischen
den Dingen auf, werden wirksam, und wir begreifen, daß die Welt auch von der
uns abgewandten Seite gesehen werden kann (muß) und dann erst rund ist, nach
der grundeinfachen, mindestens zweihundert Jahre alten Feststellung von Matthias
Claudius: „So sind wohl manche Sachen, / die wir getrost belachen, / weil
unsere Augen sie nicht sehn“.
So ist es denn sehr die Frage, wie in einer absurden Welt, die als vermeintlich „beste aller möglichen Welten“ schon von Voltaires „Candide“ ad absurdum geführt wurde, Gedichte zu schreiben sind. Wenn es nach Ion Caraion schon unmöglich ist, die Gattung Gedicht erschöpfend zu definieren! In einem unverwechselbaren Gebilde von bestürzender Ironie suggeriert Traian Pop Traian die „Möglichkeit“ des Gedichts und – über die bloße Möglichkeit als Gedicht hinaus – die Notwendigkeit seiner Vollendung in der Idee. Schon in den Gefängnissen und Zwangslagern des „Sozialismus mit menschlichem Gesicht“ ging das Wort eines Wärters um, das die Häftlinge dann mit grausiger Ironie zur Ermunterung einander zuriefen: „Lass die Logik, Kumpel, die hat hier nichts zu suchen.“ Anders gesagt – oder etwa im Bilde eines Schmierenkomödianten zur Frage erhoben: Wie und „auf welche Art [ist] ein Tablett richtig zu tragen“? Wird dem Regisseur der Versuch je gelingen, die Dinge ins rechte Lot zu bringen, ohne sie noch mehr zu verwirren? Wer ist überhaupt dieser „Regisseur“? Wenn selbst der Stückeschreiber („unaufmerksam, wie er ist“) solche Kerle sich hat einschleichen lassen, ehe sie auch nur gelernt hätten, „die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen“, aber sonst jederlei Unfug stiften! – Diese tragikomische Szene steht als Metapher für die Groteske des gelebten und „erfahrenen“ teatrum mundi , mit Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutung.
So sind diese „Texte“ eigentlich gegen den Strich zu lesen. Ihre scheinbare Formlosigkeit suggeriert für den, der Augen hat, hinter die Dinge zu schauen, und Ohren, tiefer hineinzuhören, bei aller Ungebärdigkeit die Unverletzlichkeit der poetischen Idee (wenn man bereit ist, auch im platonischen Sinn). Wie alle Kunst unserer Zeit bedingt sie Einverständnis mit der (stillschweigenden) Übereinkunft, daß das Schöne, außer gut und wahr, auch das Versprechen von etwas Höherem sein muß. Dieses Höhere müssen wir beim Lesen in uns finden. Bereitschaft ist der Schlüssel, Umstände der Entstehung sind Akzidentien, Begegnung kann zu Erfüllung werden – wenns hochkommt zu Selbstfindung: Offenbarung eines Geheimnisses, hinter dem noch mehr Geheimnisse, auch hinter möglichen Fratzen, auf unsere Entdeckung warten. Als Bemühung eines schöpferischen Geistes gegen alle saekulare Zerstörung. Dieser Geist muß aufbegehren und sich aller (sprachlichen) Mittel bedienen, auch wenn sie in gewissem Sinn immer einem Konformismus des Nonkonformismus Ausdruck geben. Sprache an sich ist ein Konformismus, und doch wird ein unverdorbener Kopf sie in unverkennbarer eigener Weise mehr oder weniger konform gebrauchen. Aber wenn er ein Dichter ist und auch nur von altbekannten Dingen spricht, wird es sein, als ob sie noch nie gesagt worden wären, und wir lernen durch ihn sie neu sehen. Freilich – hat das auch seine Zeit.
Mössingen, September 2000
Bio -Biblio Veröffentlichungen Texte Freunde Links
Home Deutsch Français English Româneste E-Mail
Stand: 2006-05-29 22:26:34 +0200